Der rheinland-pfälzische nicht berufsrichterliche Richter am Verfassungsgerichtshof (VGH), Michael Hassemer, hält die Protest-Aktionen der Klima-Bewegung ‚Letzte Generation‘ für durch einen Notstand gerechtfertigt (siehe SWR-Berichterstattung). Dazu erklärt der Vorsitzende des Rechtsausschusses im rheinland-pfälzischen Landtag, der CDU-Landtagsabgeordnete Dr. Helmut Martin:
„Von einem Richter am rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshof hätte ich eine fundiertere und verfassungsrechtlich präzisere Einordnung der fragwürdigen Klima-Protest-Aktionen erwartet. Leider entsteht der Eindruck, dass Herr Hassemer, der auf Vorschlag der Grünen VGH-Mitglied wurde, parteipolitisch motiviert argumentiert.“ Hassemer rechtfertigt die umstrittenen Aktionen der Aktivistinnen und Aktivisten mit Paragraf 34 des Strafgesetzbuchs, der einen ‚rechtfertigenden Notstand‘ beschreibt. Der Jurist Martin hält das für eine straf- und verfassungsrechtlich gefährliche Gesetzesauslegung.
„Den Klimawandel als ‚Notstandssituation‘ zu betrachten, um damit die Protest-Aktionen zu rechtfertigen, halte ich für nicht haltbar. So lange unsere Verfassungsorgane intakt und arbeitsfähig und Staat oder innere Ordnung nicht in Gefahr sind, liegt kein Notstand vor.“ Hassemer versuche mit seiner Auslegung im Sinne der Aktivistinnen und Aktivisten das Verfassungssystem auszuhebeln, so Dr. Helmut Martin. „Wenn sich die Aktivistinnen und Aktivisten bei ihren Protest-Aktionen über geltendes Recht hinwegsetzen, dann kann dies strafbar sein. Rechtsbeeinträchtigungen durch eben solche Proteste sind gerade nicht durch einen Notstand zu rechtfertigen.“
„Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut in einer freiheitlichen Demokratie. Daher wird es von unserer Verfassung geschützt. Nach der Verfassung ist es Aufgabe der Parlamente und Regierungen, die politischen Probleme und auch großen Aufgaben angemessen zu bewältigen. Bloße Unzufriedenheit damit, wie die demokratisch legitimierten Parlamente und Regierungen Probleme bearbeiten, rechtfertigt keine Notstandslage.
Wenn Herr Hassemer Straftaten von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten mit einem Notstand rechtfertigt, dann untergräbt er die Verfassungsordnung und spricht den demokratisch gewählten Parlamenten und den von den Wählerinnen und Wählern legitimierten Regierungen die Arbeitsfähigkeit ab. Damit legt er die Axt an die Wurzel des Rechtsstaats.“
„Klimaschutz ist wichtig – keine Frage – aber der gute Zweck rechtfertigt sicher nicht den Einsatz fragwürdiger Mittel. Wer den Straßenverkehr herunterbremst und absichtlich blockiert, gefährdet Menschenleben und greift unerlaubt in die Freiheitsrechte anderer ein. Ich finde es übrigens auch wider-sinnig, wenn sich solche Blockiererinnen und Blockierer dann aber auf ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit berufen – von den Vorwürfen der Nötigung, dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr oder der Behinderung von Rettungskräften mal ganz abgesehen. Ähnliches gilt für die Beschädigung von wertvollen Kunstwerken, die andere Menschen in Museen und Ausstellungen ungestört betrachten wollen. Da muss der Rechtsstaat sehr genau und entschieden agieren und bestehendes Recht durchsetzen.“
Gesetzesverschärfungen sind für Dr. Helmut Martin aber immer nur letztes Mittel der Wahl. „Bei Überzeugungstätern – und die Anhängerinnen und Anhänger von ‚Letzte Generation' sind wahrscheinlich mindestens zum Teil Überzeugungstäter – helfen Strafverschärfungen meiner Einschätzung nach eher wenig, sie können sogar kontraproduktiv sein, wenn dadurch die Aktivistinnen und Aktivisten quasi zu Opfern stilisiert werden. Notwendig sind aber zwei Dinge: 1) bei o. g. Straftaten müssen bestehende Gesetze konsequent und zügig angewendet werden, um das Vertrauen der rechtstreuen Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat nicht zu erschüttern, 2) wir müssen eine breite gesellschaftliche Diskussion über solchen Missbrauch des Demonstrationsrechts anstoßen und führen."