An dieser Stelle geben wir Gastautoren die Möglichkeit, zu Themen ihrer Wahl eigene Standpunkte dazulegen.
Heute von Bettina Dickes (Landrätin Bad Kreuznach):
Der 10. März hat mein bisheriges Arbeiten völlig auf den Kopf gestellt. Es war der Tag, an dem in unserem Landkreis die ersten Coronafälle festgestellt wurden und wir zwei Schulen im Landkreis schließen mussten.
Der Krisenstab der Kreisverwaltung hat sofort seine Arbeit aufgenommen. Ich bin dankbar, dass uns gerade in den ersten Wochen viele Ehrenamtler des Katastrophenschutzes in dieser ungewohnten Situation unterstützt haben. Dort ist man es gewöhnt, in Krisensituation sehr schnell strukturiert zu arbeiten. Davon haben wir alle sehr profitiert.
Von Anfang an hat uns das Ziel geleitet, dass kein Mensch aufgrund fehlender medizinischer Rahmenbedingungen sterben muss. Dabei hatten wir alle die Bilder aus Norditalien, aber auch die detaillierten Berichte aus der Uniklinik in Straßburg vor Augen. Aussagen aus Straßburg, dass dort Patienten im Alter von über 80 Jahren bei fehlenden Beatmungsgeräten schnell mit Opiaten und Schlafmitteln beim Sterben begleitet werden sollten, haben uns dazu bewogen, sofort den Versuch zu starten, Beatmungsgeräte für unsere Kliniken zu besorgen. Es war zu befürchten, dass die Bestellungen von Bund und Land nicht auf die Schnelle den Landkreis Bad Kreuznach erreichen werden. Nach Rücksprache mit dem Land haben daher 50 Geräte inklusive intensivmedizinischer Zusatzgeräte bestellt. Auch wenn aktuell die Infektionszahlen zurückgehen, bin ich froh, dass wir damit für den Ernstfall gerüstet sind.
Die ersten Wochen hießen für mich persönlich 16 bis 18 Stunden Arbeit pro Tag. Auch nachts hat mich die Frage verfolgt, ob ich nicht noch mehr tun könnte, um die Menschen in unserem Landkreis bestmöglich zu schützen. Ich habe die große Angst in der Bevölkerung gespürt und daher versichert, mit größtmöglicher Transparenz und vielen Informationen Vertrauen zu schaffen. Mein erster Griff nach dem Weckerklingeln und mein letzter vor dem Einschlafen war der zum Handy, um Bürgerfragen zu beantworten, die mich per Mail, aber oft auch über Facebook erreicht haben. In diesem Zusammenhang bin ich auch unserem Pressesprecher Benjamin Hilger zutiefst dankbar, da er rund um die Uhr versucht hat, alle Informationen zu bündeln und Fragen zu beantworten.
Gerade die ersten Wochen waren geprägt von Gesprächen mit Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Ärzten, aber auch mit Wirtschaftsvertretern. Wir haben auf den unterschiedlichsten Wegen persönliche Schutzausrüstung, wie Atemmasken und Schutzanzüge, besorgt und damit unter anderem auch Ärzte versorgt. Die Zusammenarbeit war hier gerade mit dem Bürgermeister der Verbandsgemeinde Rüdesheim, Markus Lüttger, toll. Daneben haben wir unter anderem in Bad Sobernheim binnen Tagen eine Abstrichstation aufgebaut, die Hausärzte beim Aufbau einer Infektambulanz unterstützt und einen Krankenhausplan für den Landkreis in Absprache mit dem Gesundheitsamt erstellt.
Im Schulterschluss mit den Ordnungsämtern der Stadt Bad Kreuznach und der Verbandsgemeinden wurden die Verordnungen für kontaktreduzierende Maßnahmen umgesetzt. Ganz persönlich habe ich mich zu Beginn der Pandemie dafür stark gemacht, die kontaktreduzierenden Maßnahmen sehr restriktiv umzusetzen. Dies hatte zwei Gründe: Zum einen konnten wir so Zeit gewinnen, um durch gezielte Vorbereitungen einem möglichen Anstieg der Infektionszahlen gewachsen zu sein. Mein Ziel war es immer, bis Ostern mit unseren ersten Maßnahmen fertig sein, was uns auch größtenteils geglückt ist. Zum anderen verfolgte ich den Grundgedanken, mit einer starken Kontaktreduktion die Neuinfektionen drastisch zu reduzieren, um dann auch schnell wieder Lockerungen vornehmen zu können. Die aktuellen Zahlen aus dem Landkreis zeigen, dass die Menschen in unserem Kreis sich an die Beschränkungen gehalten haben und es gemeinsam gelungen ist, die Ausbreitung stark zu bremsen. Die erwartete große Welle blieb zum Glück aus.
Wegen dieser Zahlen bin ich heute ein großer Verfechter von Öffnungen. Unsere Wirtschaft darf nicht völlig zu Boden gehen. Auch deshalb baue ich darauf, dass bald in allen Bereichen das Leben wieder hochgefahren wird – natürlich aber unter Beachtung der Abstands- und Hygieneregeln, um keine unkontrollierte Ausbreitung zu provozieren. Aber ich bin mir sicher, dass wir auch das gemeinsam schaffen werden.
Zusammengefast waren die vergangenen Wochen sehr intensiv und anstrengend, aber dennoch auch interessant. Ich bin sehr froh, dass wir bislang von einer großen Infektionswelle verschont blieben und baue darauf, dass wir alle dafür sorgen, dass dies auch weiterhin so bleibt – durch Abstand und Vernunft. Denn nur so wird es uns gemeinsam gelingen, keine zweite Welle des Virus zu erfahren und uns zugleich eine erneute deutliche Einschränkung unseres öffentlichen Lebens zu ersparen – im Sinne unserer Gesundheit und unserer Wirtschaft.